Am Anfang stand der Punk. Allein die Tatsache, dass man sich als deutsche 77'er Punkband der ersten Stunde nach einem Lou Reed-Stück als Charley's Girls betitelt, zeigt eigentlich dass der Bezug zum Punk hier anfänglich eher in der amerikanischen Punk-Avantgarde, denn in der gerade erst gezündeten britischen Punk-Explosion herzustellen ist. Die Düsseldorfer Band um Franz Bielmeier, in der auch Jürgen "Muscha" Muschalek († 2003), Markus Oehlen, Peter Stiefermann und eben Peter Hein zur Besetzung gehörten, kann man mit Fug und Recht als Pioniere des Punkrock in Deutschland bezeichnen. Keimzelle und Nukleus war der Ratinger Hof, unweit der D'dorfer Altstadt. 1977 hatte Carmen Knoebel, Inhaberin der Lokalität, diese in eine Festung des nihilistischen Minimalismus verwandelt. Hell, grell, kahl und furchteinflössend für alle, die in der nun über Deutschland hereinbrechenden Bewegung, das Ende des Abendlandes sahen. Da ich selbst kein Musiker bin, kann ich schlecht sagen, ob Charley's Girls die berühmten "drei Akkorde" überhaupt zusammengeschrammelt bekamen. Jedenfalls brachten sie das an den Mann wofür Punk zu Beginn wohl stand: D.I.Y., Atonalität, Brachialität und Dilettantismus...
In der schnelllebigen Phase, brauchte es nur wenige Monate nach Gründung der Girls eine Nachfolgeband. Diese gab sich den alles- oder nichtssagenden Titel Mittagspause. Die Kontinuität blieb gewahrt, da neben Bielmeier auch Hein und Oehlen mit dabei waren. Als Zweitstimme war zu Beginn noch ein gewisser Gabi Delgado-López mit von der Partie. Nachdem man es heute anhand der zur Verfügung stehenden eher schlechten Tonaufnahmen schwer hat, den Aussagen von Charley's Girls zu folgen, zeigte sich bei Mittagspause bereits, zu welch hochformatiger Lyrik ein Peter Hein alias Janie J. Jones als Texter und Sänger fähig ist. Nun waren Mittagspause musikalisch eigentlich schon immer etwas anders, als man sich Punkrock zu dieser Zeit vorstellen möchte. Alles war irgendwie schon weiter, kantiger, subtiler, ja intellektueller als die meisten Protagonisten jener Tage. Proto-Post-Punk sozusagen. Mittlerweile war auch der spätere Fehlfarben-Gitarrist Thomas Schwebel mit an Bord. Vieles von dem, was später die Fehlfarben ausmachen sollte, war bei Mittagspause schon vorhanden. Beispielhaft deutlich macht das der Titel "Paff", einem gecoverten Song, den früher Marlene Dietrich sang. Hier wurde schnell klar, dass der Blick musikalisch weiter nach vorn gerichtet war...
Anfang 1980 kam dann, was kommen musste. Mittagspause lösten sich auf. Die Fehlfarben, bereits '79 als Nebenprojekt von Hein und Schwebel ins Leben gerufen, traten die Quasi-Nachfolge an. Das Line-Up bestand neben den beiden Genannten noch aus Frank Fenstermacher, Michael Kemner, Uwe Bauer und - natürlich - Markus Oehlen. Ich zitiere mal die offizielle Geschichtsschreibung von der aktuellen Website der Fehlfarben:
"November 1979: Gründung der Band: Peter Hein, Thomas Schwebel, Uwe Bauer und Markus Oehlen, damals Schlagzeuger bei Mittagspause, stehen an der Bar eines kleinen Clubs in London. Auf der Bühne stehen The Teardrop Explodes, das erste Konzert in der Hauptstadt. Ganz England ist im TwoTone-Ska-Fieber. Also wird TwoTone importiert nach BRD: Die Fehlfarben sind geboren."
Mir ist zwar jetzt nicht so ganz geläufig, was The Teardrop Explodes mit 2Tone und Ska zu tun haben, aber sie werden ihren Grund gehabt haben, dies so zu beschreiben. Fakt ist jedenfalls, dass der Ska-Einfluß auf der ersten Single "Abenteuer Und Freiheit" gegeben ist, bzw. die Single sich klar am Stil der 2Tone-Bands orientiert. Allerdings bleibt es nicht lange bei der eingeschlagenen Richtung. Bereits mit Erscheinen des Debütalbums "Monarchie Und Alltag" sprechen wir von deutschsprachigem Postpunk bzw. New Wave und wohl einem der wichtigsten zeitgenössischen Meisterwerke deutscher Rock- u. Popgeschichte. Anders als bei der ersten Single, ist der musikalische Bezug zu Mittagspause nicht zu leugnen. Und auch wenn die Band es nicht gerne hören mag, "Geschichte wird gemacht, es geht voran"...
Der eingeschlagene Weg und musikalische Stil von "Monarchie Und Alltag" erinnert mich an Gang Of Four oder auch an A Certain Ratio, die zu dieser Zeit ebenfalls Elemente des Funk in ihre ansonsten doch recht kantigen, kompromisslosen und oftmals unterkühlten Songstrukturen einfließen ließen. Neben dem allseits bekannten und von den Mitgliedern der Band nicht unbedingt geliebten Evergreen "Ein Jahr (Es Geht Voran)", ist mein persönlicher Favorit des Albums wohl "Paul Ist Tot". Insgesamt gesehen ist das Album aber ein "Gesamtkunstwerk", welches aus meiner Sicht keine Schwächen aufweist und einfach absolut in den zeitlichen Kontext passt. Das der Song "Ein Jahr" im Zuge des NDW-Hypes von 1982 als Single auf den Markt geworfen wurde, geschah scheinbar gegen den Willen der Band. Schon die Einbeziehung des Songs auf dem Album war eine Konzessionsentscheidung gegenüber dem Label. Warum der Song später auch als "Hausbesetzer-Hymne" galt, entzieht sich gänzlich meinem Verständnis. Das "Monarchie Und Alltag" im Jahr 2000 noch die Schallmauer zur Goldenen Schallplatte durchbrach, bedeutete noch eine späte zusätzliche Reputation für die Platte...
"Was ich haben will das krieg´ ich nicht, Und was ich kriegen kann, das gefällt mir nicht."Das Problem ist allerdings jetzt, dass die bisherige Gefolgschaft rebelliert und von Verrat spricht. Fehlfarben sind mit "Monarchie Und Alltag" zum Major-Label EMI gewechselt. Ein Pakt mit dem Teufel also. Ob es zu dem verschiedenen Orts angedeuteten radikalen Publikumswechsel kam und ob dieser so kompromisslos war wie unterstellt, wage ich mal zu bezweifeln. In dieser Zeit sind den Kurs, den auch die Fehlfarben gegangen sind, viele gegangen. Viele auch deutlich weiter in den Kommerz, was ich hier keineswegs beurteilen möchte. Jedenfalls markierte diese Stelle in der Bandbiografie sowohl einen Meilenstein, als auch einen Bruch, denn nicht lange nach dem Erscheinen des Debüts verließ Peter Hein die Band. Den oft behauptete Zusammenhang mit Heins Entscheidung für seinen damaligen Arbeitgeber und eben einem "bürgerlichen Job" hat er zwar selbst zunächst mit in die Welt gesetzt, aber an anderer Stelle auch schon mal für zumindest nicht allein verantwortlich beschrieben. Beispielsweise 2017 in einem Interview mit Jürgen Jürgens von radioBERLIN...
„33 Tage in Ketten“ - ein Titel den man nicht verstehen muss, ziert das zweite Album von 1981. Bei dem ist Peter Hein wie oben erwähnt, schon nicht mehr mit an Bord. Auch Frank Fenstermacher hat die Fronten hin zu Der Plan gewechselt und wurde durch Uwe Jahnke von S.Y.P.H. ersetzt. Ebenso wie später auf dem dritten Longplayer "Glut Und Asche" (1983) übernahm hier Thomas Schwebel den Gesang. Und das so gut, dass mir das damals nicht wirklich unangenehm aufgefallen wäre. Die Platte war im Prinzip ein konsequenter Nachfolger des Debüts und kein Stück schlechter. Und auch mit "Glut Und Asche" blieben die Fehlfarben in der Erfolgsspur. Auch wenn hier neben Schwebel nur noch Uwe Bauer von der Anfangsformation mit von der Partie war. Vom aufgekratzten Sound der beiden ersten Werke ist hier allerdings nicht mehr viel übrig. Der teilweise noch funkige, aber auf jeden Fall poppige Wave-Sound wirkte deutlich freundlicher als bis dahin von den Fehlfarben bekannt und das Album wird sogar "Platte des Monats" im Musikexpress. Immerhin als erste deutsche Band seit Kraftwerk. Drei Alben am Stück mit durchaus guten Chartplatzierungen, haben damals auch nicht unbedingt viele Bands mit Punktradition geschafft...
1984 ging die Band mit ihrem neuem Bassisten Hellmut Hattler von den Jazzrock/Krautrock-Legenden Kraan auf Tour. Im gleichen Jahr wurde ein neues, viertes Album eingespielt, welches allerdings erst 1995 als „Popmusik und Hundezucht“ erscheinen wird. Im November 84 kam es zu Streitigkeiten mit dem Label und plötzlich war es vorbei. Die Band löste sich auf! Dennoch erschien 1985 noch eine Single unter dem Titel "Keine Ruhige Minute/Der Himmel Weint". Danach war erst mal Feierabend mit den Fehlfarben. Aus und vorbei - dachte man zumindest...
Ende Teil 1 - - - [Teil 2 folgt im Laufe der nachsten Wochen...]