Einstürzende Neubauten - Lament
Release Date: 7 November 2014
Format: Vinyl, CD, Digital
Das die Neubauten ein besondere, sehr spezielle Band sind, brauche ich wohl niemanden zu erklären. Die Formation - entstanden als diametrales Gegenteil von Wohlklang - strapaziert ja nun bereits seit nahezu 35 Jahren Ohren und Nerven der geneigten Hörerschaft. Und nun sind sie wieder da! Und befassen sich - ganz Mainstream - mit dem Thema des Jahres: Dem Ausbruch und Verlauf des 1. Weltkriegs vor hundert Jahren...Dies tun sie natürlich auf ihre ureigene und nahezu unverwechselbare Art. Und auch auf diese Scheibe muß man sich einlassen wollen. Dem mehr oder weniger musikalischen Treiben unkonzentriert folgen zu wollen, macht absolut keinen Sinn. Einmal hören und dann beiseite legen ebensowenig. Obwohl Blixa Bargeld die Platte (laut SPEX) nicht als Konzeptalbum verstanden wissen will, wüsste ich aber beim besten Willen nicht, wie ich sie sonst verstehen soll. Das Thema zieht sich nun einmal durch das gesamte Werk...
Ob meine persönlichen Eindrücke, Gedanken, Empfindungen und Interpretationen deckungsgleich mit denen der Band sind, darf man getrost bezweifeln, denn wer weiß schon, was Blixa und Co durch den Kopf geht, wenn man solche Dinge vertont. Aber ich denke, die Intention ist auch eher die, dem einzelnen Hörer Spielraum für eigene Interpretationen des Gehörten zu geben. Ohne das begleitende Inlay wird´s auch schwierig, überhaupt einen Zugang zu bekommen. Ähnlich einem Ausstellungskatalog einer Vernissage. Aber vielleicht verstehe ich das auch alles völlig falsch...
Das Material, was auf dem Album Verwendung findet, wird in einer Pressemitteilung zur Veröffentlichung folgenderweise beschrieben. Ein jeder sollte sich seinen eigenen Reim darauf machen:
» Mit diesem Werk wird die Band ihre explizit in der Tradition der Avantgarde stehenden Techniken mit diesem ersten, die gesamte Welt erschütternden Weltereignis verknüpfen. Dazu fanden umfangreiche Recherchen von Ton-Aufnahmen aus den Jahren 1914-1916 von Kriegsgefangenen aus aller Welt (aufgenommen in einem der ersten großen Lager in der Nähe Berlins) aus dem Lautarchiv der Humboldt-Universität Berlin und dem Deutschen Rundfunkarchiv statt. Zudem wurde umfangreich Material im Militärhistorischen Museum Dresden gesichtet und gehört, das ebenso in die Komposition eingeflossen ist. Es werden musikgeschichtliche Verbindungen von zwei der ältesten musikalischen Formen, dem "LAMENT", einem Klagelied und der "Motette" eines flämischen Renaissancekomponisten, der darin die biblische Geschichte vom verlorenen Sohn behandelt, zu den Tondokumenten der Kriegsgefangenen geknüpft und verarbeitet. Das Instrumentarium der Neubauten aus Stahl, Stimme, objets trouvés und innovativster Technik wird hierfür mit einem Streicher-Ensemble erweitert. Dies wird kein Konzert über den 1. Weltkrieg sondern eine Komposition, die sich aus dem Themenkomplex herausschält: "erst muss man Platz schaffen, damit etwas Neues entstehen kann" (Blixa Bargeld). «
Spannend und fast schon geordnet musikalisch, fand ich die Songs "On Patrol In No Man´s Land" und "All Of No Mans Land Is Ours", die durch die Musik der 369th Infantry Band "Harlem Hell Fighters" (die zu einer afroamerikanischen Kampftruppe gehörten, die im 1. Weltkrieg die Franzosen unterstützte) inspiriert sind und schon gospel-artige Züge tragen. Ansonsten kommt man halt (wie so oft bei den Neubauten) unweigerlich immer wieder an den Punkt wo man sich fragt, was der ganze Scheiß eigentlich soll? Aber mit etwas Übung, Willen und der Fähigkeit zu großem Kopfkino, erklärt sich vieles dann irgendwann doch. Wie gesagt, man muss sich darauf einlassen...
Die Einstürzenden Neubauten sind nun einmal keine Tanzkapelle. Und wer etwas wie "Yü-Gung" oder "Feurio!" oder Quasi-Balladen wie "Sabrina" erwartet, wird bitterlich enttäuscht. Hier geht es schon sehr abstrakt zur Sache. Aber einmal eingetaucht, ist es hochinteressant, sich akustisch und auch ein wenig intellektuell mit dem Album zu befassen. Und wenn das Thema in diesem Jahr auch Mainstream ist - wichtig ist es natürlich schon, sich damit auseinanderzusetzen. Und warum nicht zusammen mit den Neubauten...
Einstürzende Neubauten live
08.11. Diksmuide – Gone West
09.11. Aachen-Stolberg – Zinkhütter Hof
10.11. Hannover – Capitol neu
11.11. Berlin – Tempodrom
16.11. München – Muffathalle
19.11. London – Koko
27.11. Ljubljana – Kino Siskia Centre
28.11. Bologna – Auditorium Manzoni
29.11. Turin – Auditorium Rai
30.11. Rom – Auditorium Parco Della Musica