[m] Ja, jaa... Ich weiß... Das Buch ist alles, nur nicht neu. Aber endlich habe auch ich es geschafft, es mal zu lesen. Ich muß zugeben, dass ich mit Simon Reynolds Standardwerk "Rip It Up And Start Again - Schmeiß alles hin und fang neu an (Postpunk 1978-1984)" deutlich schneller in die Schuhe kam und auch irgendwie intensiver gelesen habe. Nicht dass es langweiliger gewesen wäre - das war es keinesfalls. Aber es hatte so seine Strecken. Die Thematik an sich ist interessant. Warum kann der Pop nicht von seiner Vergangenheit lassen? Eine Frage, die ich für mich eigentlich schon lange als beantwortet angesehen habe und eigentlich keines Buches bedurft hätte. Dachte ich zumindest. Aber es gab reichlich neue Sichtweisen auf Dinge, mit denen ich mich in Sachen Musik auch oft beschäftige. Vieles dessen, was Reynolds geschrieben hat, konnte ich bei mir wiederfinden. Aber bei nicht wenigen Ansichten und Erklärungen, die mir manchmal auch eine Spur zu Oberlehrerhaft daher kamen, regte sich in mir Widerstand...
Die einzelnen Abhandlungen in dem Buch bilden aber dennoch einen interessanten Überblick über die Rock- u. Pophistorie und deren Auswüchse bei exzessivem Gebrauch, wie beispielsweise Plattensammeln... Das die behandelten Musikgenre auch nahezu eins zu eins das Spektrum meiner persönlichen Hörgewohnheiten abbildet, mag Zufall sein oder ist auch vielleicht aufgrund der nur vierjährigen Altersdifferenz und einer möglicherweise ähnlichen musikalischen Sozialisation wie der des Autoren zu erklären. Dass der Mann studiert ist, merkt man seinen Texten mittlerweile aber sehr wohl verstärkt an. Manches wortreiche Herummanövrieren um Aussagen, die auch mit ein, zwei einfachen Sätzen erklärt gewesen wären, hatte ich so bei "Rip It Up" nicht in Erinnerung. Nicht, das mir ein guter Schreibstil nicht auch gefallen würde, nur kam mir mancher Absatz allzu akademisch daher. Nun gut, vielleicht war als Adressat des Werks auch gar nicht der gemeine Pop- u. Rock-Fan gemeint. Das Aufdecken von Querverweisen diverser Interpreten und ganzer Genres zu pophistorischen Raubzügen in vergangenen Dekaden, interessiert vielleicht auch nur einen begrenzten Teil der Musikhörerschaft...
Bei manchen Aussagen im Buch, spüre ich eine gewisse Abfälligkeit gegen über der Tatsache, dass sich eben vieles im Laufe der Jahrzehnte wiederholt oder sich Künstler in vergangenen Dekaden bedient haben. Das erkenne ich auch in diversen Rezensionen zum Buch wieder, wo relativ unreflektiert die Sichtweise Reynolds übernommen wird. Ich halte dagegen den Rückgriff auf Vergangenes für einen völlig logischen Vorgang. Warum Reynolds das teilweise in ein schlechtes Licht rückt, ist mir schleierhaft. Gerade aus diesen Prozessen ist immer wieder auch Gutes und Neues hervorgegangen. Und selbst wenn es sich nur um ein Revival handelt, kommt dies in der Regel nicht von ungefähr, sondern ist m. E. auch Ausdruck von Qualität. Oder kann es zumindest sein. Ein schlechtes Beispiel wäre jetzt, wenn man die unsäglichen "Die Atzen" als Revival solcher intonierten Ausgeburten der musikalischen Hölle wie "Bruce und Bongo" und ihrem Hit (?) "Geil" aus dem Jahre 1986 erklären würde. Aber vermutlich stimmt das sogar. Trauerspiele deutscher Chartgeschichte...
Der Versuch des Autors ständig die Grundthese seines Buches darstellen zu wollen, nervt mich eher, denn grundsätzlich erkenne ich in den weiten Passagen dazwischen ja eher genau das gegenteilige Denken. Sehe ich Retromania als Ansammlung von Aufsätzen über die pophistorischen Zusammenhänge der letzten 60 Jahre, bleibt aber ein spannendes Buch, welches so manche Wissenslücke füllt und äußerst interessante Dinge zu Tage fördert. Nur dem eigentlichen Grundgedanken des Buchs, einer mehr oder weniger offenen und zwanghaft wirkenden Kritik an der Retromanie, kann ich nicht akzeptieren und will ich nicht folgen. Vielleicht aber hat mich diese Manie einfach nur übermannt und ich merke es nicht. Es gibt aber schlimmeres...