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Zwischen Selbstfindung und Gesellschaftskritik: Alma Naidu - Redefine" | (Leopard Records, VÖ: 23.05.2025)



In einer Musiklandschaft, die von flüchtigen Trends und oberflächlichen Produktionen geprägt ist, wirkt Alma Naidus zweites Album "Redefine" wie ein wohltuender Kontrapunkt. Die 1995 in München geborene Sängerin, Komponistin und Multiinstrumentalistin hat sich seit ihrem Debüt "Alma" (2022) einen Namen in der deutschen Jazzszene gemacht und präsentiert nun ein Werk, das sowohl musikalisch als auch inhaltlich zum Sprung ansetzt... 

"REDEFINE marks a new chapter in my music, sound, and my identity as an artist", verkündete Naidu im Februar 2025 bei der Albumankündigung. Diese Neuerfindung ist mehr als ein Marketing-Slogan – sie durchdringt jeden Aspekt des Albums. Vom subtil veränderten visuellen Erscheinungsbild bis hin zur musikalischen Ausrichtung spürt man die bewusste Weiterentwicklung einer Künstlerin, die ihre Stimme gezielt einsetzt. Das selbstproduzierte Album, entstanden in Zusammenarbeit mit Bassist Florian Stierstorfer, vereint Jazz-Fundament mit Pop-Sensibilität, experimentellen Klangtexturen und einer thematischen Tiefe, die weit über Standardthemen hinausgeht. Naidu nutzt ihre beeindruckende stimmliche Bandbreite, um gesellschaftliche Strukturen zu hinterfragen und persönliche Transformationsprozesse zu reflektieren... 

Für "Redefine" hat Naidu ein beeindruckendes Ensemble internationaler Musiker versammelt. Der fünffache Grammy-Gewinner Mark Lettieri (Snarky Puppy, The Fearless Flyers) verleiht "Downside Of Love" mit seinem charakteristischen Gitarrenspiel eine rockige Note, während die gefeierte Cellistin Raphaela Gromes auf "Visions" und "Learn To Cry" für emotionale Tiefe sorgt. Die Zusammenarbeit mit dem schwedischen Posaunenvirtuosen Nils Landgren auf "I Think I've Seen Your Soul" schafft einen faszinierenden Dialog zwischen Stimme und Instrument, der von gegenseitigem Respekt und musikalischer Intuition zeugt. Simon Oslender, selbst gerade mit seinem Album "All That Matters" überaus erfolgreich, bringt auf "Back To Life" seine Hammond-Orgel-Expertise ein und schafft mit Naidu einen dynamischen Spannungsbogen. Besonders hervorzuheben ist die Zusammenarbeit mit Bassist Florian Stierstorfer, der nicht nur als Co-Produzent fungiert, sondern auf "Who's Left" auch als Duettpartner in Erscheinung tritt. Dieșe Symbiose verleiht dem philosophischen Text – "Who's left... suddenly when all is gone... it's just you... and that is more than plentiful... more than enough" – eine berührende Authentizität... 

Was "Redefine" jedocb von vielen Jazz-Vocal-Alben unterscheidet, ist die thematische Bandbreite und der gesellschaftskritische Ansatz. Naidu wagt sich an Themen wie Geschlechterrollen und gesellschaftliche Erwartungen heran und findet dafür eine eigene, poetische Sprache. In "How Come" fragt sie provokant: "How come our genders must define, whether I'm allowed to be loud" – eine Zeile, die bei Live-Auftritten durch experimentelle Klangelemente wie Gitarren-Screeching und perkussive Effekte noch verstärkt wird. "To Be A Man" setzt diese Reflexion fort und analysiert männliche Sozialisationsmuster: "To be a man, you've learned to be loud since you were a child". Neben diesen gesellschaftskritischen Tönen finden sich auch zutiefst persönliche Momente. "See You In My Dreams", berührt durch seine minimalistische Instrumentierung und die ungeschützte Emotionalität von Naidus Gesang. Hier zeigt sich ihre Fähigkeit, komplexe Gefühle in scheinbar einfache musikalische Strukturen zu übersetzen... 

Stilistisch bewegt sich "Redefine" souverän zwischen verschiedenen Welten. Jazz bildet das Fundament, wird aber durch Pop-Elemente ("Someday My Love"), rockige Ausbrüche ("Downside Of Love") und kammermusikalische Arrangements (die Kollaborationen mit Raphaela Gromes) erweitert. Trotz dieser Vielfalt bleibt Naidus klare künstlerische Handschrift stets erkennbar. Ihre Stimme – technisch brillant, aber nie plakativ – passt sich den unterschiedlichen musikalischen Kontexten mühelos an. Vom intimen Flüstern bis zum kraftvollen Ausbruch beherrscht sie alle Nuancen und setzt sie gezielt ein, um die textlichen Inhalte zu transportieren... 

Die Produktionsästhetik des Vinyl-Albums ist transparent und detailreich, ohne auch nur annähernd überproduziert zu wirken. Jedes Instrument hat seinen Platz im Klangbild, und die subtilen elektronischen Elemente erweitern das Spektrum, ohne die organische Grundausrichtung zu kompromittieren... 

Alma Naidu gelingt mit ihrem Zweitwerk ein beeindruckendes Statement, das ihre Position als eine der spannendsten Stimmen der europäischen Jazzszene festigt. Das Album ist mehr als eine Sammlung von Songs – es ist geprägt von einem künstlerisches Anspruch, die persönliche Entwicklung mit gesellschaftlicher Reflexion zu verbinden. Und die Zusammenarbeit mit internationalen Größen wie Mark Lettieri, Nils Landgren und Raphaela Gromes unterstreicht Naidus gewachsenes Selbstbewusstsein und ihre Fähigkeit, auf Augenhöhe mit etablierten Künstlern zu interagieren. Gleichzeitig bleibt sie ihren musikalischen Wurzeln treu und entwickelt ihren unverwechselbaren Stil konsequent weiter. "Redefine" offenbart mit jedem Hören neue Facetten und hinterlässt einen tiefen Eindruck. Es markiert einen wichtigen Schritt in Alma Naidus künstlerischer Entwicklung und lässt gespannt auf ihre weitere Reise blicken. Wenn damit ihre Neuerfindung = Redefine gemeint ist, ist ihr diese eindrucksvoll gelungen...