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Eine musikalische Zeitreise durch das Münsterland der 90er Jahre
Frühling 2024 – Die Indiepop-Szene feiert ein unerwartetes Comeback: Das münsterländische Label „Bureau Platiruma“, unter der Leitung von Sebastian Voss, veröffentlicht mit „Episodes And Postcards“ eine liebevoll zusammengestellte CD-Compilation der Band „Stars Of Track And Field“. Ein musikalisches Kleinod, das die Herzen von Liebhabern britisch geprägten Indiepops höherschlagen lässt und gleichzeitig eine faszinierende Zeitreise in die pulsierende Musikszene des Münsterlandes der 90er Jahre darstellt…
Die Geschichte von „Stars Of Track And Field“ beginnt mit zwei musikbegeisterten Nerds aus dieser Gegend, die sich also aufmachte, im Prinzip das Manchester oder Glasgow NRW´s zu werden. In einer Zeit vor dem Internet saugten sie jede verfügbare Information über Musik und im Speziellen über Indiepop auf – vom Graves Rocklexikon bis hin zu Musiksendungen im Radio und im TV. Jeder Cent, den sie verdienten, floss in Platten und CDs…
Im heimischen Grevener Jugendzentrum dominierten Noiserock, Hardcore- und Punkrockgedöns, aber auch Hip-Hop. Musik, mit der man sich grundsätzlich durchaus anfreunden konnte. Einer der beiden zukünftigen Helden – Sebastian - trug ein selbst gemachtes Sonic Youth-T-Shirt mit dem vom Plattencover der „Goo“ abgepauschten Motiv, lebte auch Hüsker Dü und Dinosaur Jr., blickte aber vor allem neidisch zu seinen Kumpels, die sich tatsächlich trauten, die Bühne auf der „Jugendwoche“ zu betreten und Hamburger Bands wie Blumfeld und die OZSWMK zu supporten. Zum Beispiel seinen Kumpel Bernd Ahlert, der mit einem weiteren Kumpel aus Rheine die Band „Muff Potter“ gründete, die einen Sound draufhatten, der wie EA80 klang und die Sebastian anfänglich mächtig beeindruckten. Aber so das ganz, war der Punkrock-beeinflusste Sound für ihn dann doch noch nicht das Richtige…
Viel mehr Gefallen fand er an diesen hochinteressanten Bands und vor allem Labels aus England, wie Creation oder Sarah! Da entdeckte Sebastian Bands und Musiker, die anscheinend genauso introvertiert waren, wie er selbst. Nur das man damit in Greven und Umgebung zu der Zeit kaum einen Blumentopf gewinnen konnte. Ebenso wenig wie in Emsdetten, der Heimatstadt von André Bosse, den Sebastian auf einer Party seiner damaligen Freundin kennenlernte, weil dieser als uneingeladener Gast mit einer Tasche CDs auftauchte und ihm den Abend rettete („Hey, das sind ja die Inspiral Carpets!“)…
Da hatten sich zwei Partner in Crime gefunden. Der langersehnten Sparringspartner in Sachen Musik! Endlich gemeinsam Fachsimpeln, zum Beispiel über das „Flying Nun“-Label, den „Teenage Fanclub“ und die „Go Betweens“. Darüber, dass es auch schönen Lärm gab, wie von „My Bloody Valentine“ – „Ride“ - „Slowdive“ oder „The Wedding Present“, von denen Sebastian sich gerade erst im Odeon hatte an die Wand blasen lassen. Und dass, obwohl sie aussahen, wie harmlose Physikstudenten. Nerds, wie unsere beiden Münsterländer Musikfreunde mit ihren Hemdkragen unterm V-Ausschnittpulli eben. Ganze Nachmittage, gar Wochenenden verbrachten sie mit Diskussionen über „The Fall“, „Felt“, „Momus“, „The Stone Roses“ und „Nikki Sudden“. Und sie fragten sich, ob Björk sich wirklich einen Gefallen getan hatte, die „Sugarcubes“ aufzulösen. Das war wichtig, das war ihre Welt…
Sebastian spielte zwar seit ein paar Jahren mit großer Leidenschaft Oboe im Jugendsinfonieorchester und hatte sogar eine Einladung zum Vorspielen an der Musikakademie, war aber gerade dabei, sich Akkorde auf einer Westerngitarre aus dem An- und Verkauf anzueignen. Zu Hause schraubte er dann an ersten selbstgeschriebenen Songs, die unter Minimalbedingungen unter dem Namen „Grindcore Poppies“ auf Kassette aufgenommen wurden. Und André war dann der erste, dem Sebastian die ersten selbstgeschriebenen Songs wie „Your Lie Is Not Acceptable“ oder „ Fine Thanks“ vorspielte. In Andrés Jugendzimmer schrieben Sie dann einen Song namens „McCartney‘s Curse“, eine muntere Popnummer mit der Refrainzeile „John Lennon was killed in 1980, but Paul McCartney‘s still Alive… What Shall I Do?“. Könnte das ein Hit werden?
Und dann kam es, wie es kommen musste: Nach einem prägenden Konzertbesuch bei „Nikki Sudden“ im Gleis 22 - einem legendären Veranstaltungsort in Münster - ergriff sie der DIY-Geist. Sie gründeten danach die Band „Funnybone“, um mit ironischen Pop-Songs ihre eigene musikalische Vision zu verwirklichen, als Centerfold in Musikzeitschriften zu prangen, den Pop-Olymp zu erklimmen oder wenigstens den ESC zu gewinnen.
Der Weg zum Pop-Olymp
„Oder wenigstens den ESC zu gewinnen…“ Wenn man um die heutige Qualität der Darbietungen weiß, kein besonders ambitionierter Anspruch mehr. Vielleicht war der Stellenwert in den 90ern noch ein klein wenig höher anzusiedeln. Immerhin siegten 1997 mit Katrina and the Waves noch so etwas wie ein indie-influenced Popsong. Ein weiterer „Hit“ von “Funnybone” hieß dann auch „Grand Prix Winner“ (Zitat: „ I want to be the Winner of the Grand Prix d’Eurovision. I want to be a Star, but Keep Your Trousers On…“). Bei jeder sich bietenden Gelegenheit rief die Band „Platiruma!!!“. Auf verdutzte Nachfragen hatten sie die wohl völlig abwegige Erklärung parat, dass es sich hierbei um das altmazedonische Wort für „Plattenruhm“ handelte. (Zitat: „Wir hatten nämlich als Party-Gag Alter Egos angenommen und eine Folkband namens „Pavel Pavlakovic and His Magic Pavlakovictones“ gegründet, mit der wir eine ziemlich brachiale Comedyshow aufführten, was man heutzutage aus guten Gründen so nicht mehr machen würde!“)…
Als „Funnybone“ probten Sebastian und André zu zweit im katholischen Gemeindehaus, wo André seinen Zivildienst ableistete und sich im Keller ein altes Schlagzeug befand, auf dem er nach Dienstschluss herumtrommeln durfte. Sebastian kaufte sich im bereits erwähnten Grevener „An- und Verkauf“ einen gebrauchten Gitarrenverstärker und eine E-Gitarre. Die eigene Vorstellung dessen, was sie dort produzierten, klang sicherlich deutlich besser als das, was tatsächlich dabei herauskam. Abzulesen unter anderem an den spöttischen Blicken ihrer Freundinnen, denen sie ihre Vierspuraufnahmen jedes Mal stolz vorspielten. In der eigenen Wahrnehmung auf einer Stufe mit Blur oder Ocean Colour Scene, klang alles eher weniger „legit“ und in etwa so wie die ganz frühen Demos der TV Personalities oder der Anteil der zurecht unbekannt gebliebenen Bands auf dem C86-Sampler. Diese Einschätzung stammt tatsächlich von dem schon damals als Stilikone zu bezeichnenden Carsten „Erobique“ Meyer, der ursprünglich aus dem kleinen Nachbarort Saerbeck stammte und der die Aufnahmen von „Funnybone“ mal öffentlich mit diesen Worten lobte. In der Tat bedeutete das förmlich einen Ritterschlag für unsere beiden „Wimps“…
Der erste größere Durchbruch kam mit dem Demotape „And Everything Goes It´s Own Way“. Von den Worten Erobiques ermutigt, mietete man sich für ein Wochenende im „Flat Fish Studio“ in Rheine ein und nahmen das Demo auf, welches eine recht gut eingespielte Version von „McCartney‘s Curse“ enthielt. Nicht ganz verschweigen sollte man jedoch die Unterstützung der Rhythmusgruppe der „Notärzte“ aus Reckenfeld, einer ziemlich angesagten Coverband der „Ärzte“, die aufgrund ihres Könnens, schon etwas spöttisch auf die beiden Hauptakteure herabschauten, deren technische Fähigkeiten noch etwas begrenzt waren. Der Song jedoch wurde ein kleiner Hit, der sowohl im Campus Radio rauf und runter gespielt wurde, aber auch im Gleis 22 beim „Infectious Grooves“ aufgelegt wurde…
Dies brachte „Funnybone“ schnell den Ruf als „neue Popsensation“ in Münster ein. Es galt eine Liveband zu formieren. Und hierbei kam Sebastians alter Freund Bernd Ahlert wieder ins Spiel und in die Band, der kurz zuvor bei „Muff Potter“ ausgestiegen war. Nachdem alle mittlerweile in MS ihr Studium begonnen hatten, entwickelte sich die Truppe zu einer der „Hausbands“ im Gleis 22 und waren eine Art britisch geprägte Antipode zu den anderen, eher am US-Indie orientierten Bands aus dem Umfeld des Gleises. Oder diejenigen, oder die wie Samba und Carsten Meyer bereits „echte“ Popstars waren…
Und doch nahte im Jahr 1997 bereits das Ende der „Funnybones“. Carsten „Erobique“ Meyer begleitete die Band noch auf ihrem Abschiedskonzert im Gleis 22 am Rhodes-Piano. Ein standesgemäßer Abschied und ein ziemlich geiles Konzert. Carsten schrie ins Publikum „ wollt ihr wirklich, dass diese Band sich auflöst?“ und das Publikum: „Neeeiin!“, aber André und Sebastian hatten den Eindruck, irgendwie festgefahren zu sein…
to be continued soon...
--- ENDE TEIL 1 ---
author: S. Voss & M. Kleine
all pics by: S. Voss